SCHLEIM-KEIM Interview mit Hagen und Lippe Teil 2

Habt Ihr versucht, Otze umzustimmen oder habt Ihr euch rausgehalten?
Hagen: Das war für mich gegessen. Otze hat gesagt, wir spielen nicht und dann war das gegessen.
Lippe: Dann wars okay, spielen wir nicht, fertig. In Lauchröden hat ers genauso gemacht.
Hagen: Das war aber Veranstaltersache. Da hiess es genauso, ihr braucht nichts mitzubringen nur euren Kram und es war einfach nicht da. Wir haben gesagt, Veranstalter kümmer dich und die haben sich nicht gekümmert, also stands nicht da, fertig, da sind wir eben wieder abgefahren.
Ihr meint also nicht, dass ihm der Ruhm zu Kopf gestiegen ist? Otze meinte mehrmals zu mir, daß viele Frauen nur mit ihm abgeschoben sind, weil er der Sänger von SCHLEIM-KEIM war.
Lippe: Nach der Wende war der Kultstatus um SK eigentlich nicht mehr so schlimm wie es vor der Wende war.
Hagen: Vor der Wende war das eine Legende, nachher war es erst Kult. So muss man das sehen.
Wodurch hatte sich der Kultstatus Eurer Meinung nach aufgebaut vor der Wende?
Hagen: Es gab nicht jedes Wochenende irgendwo ein Konzert. Auf Hinterhöfen und meistens wenn was war, dann hiess es Kirche/Werkstatt, eventuell mal irgendwo 'ne private Party. Aber das kam sehr selten vor. Um es mal anders zu sagen, ich war auch mal bei Lutz Schramm, Jugendradio DT 64, der hat zum Beispiel gesagt, er kann sich vieles erlauben, aber SK kann er nicht spielen. Dann wär das seine letzte Sendung gewesen. Obwohl sich im Nachhinein rausgestellt hat, daß Lutz Schramm mitgearbeitet hat (Anmerkung von Lutz Schramm: "Wie der Satz "Obwohl sich im Nachhinein rausgestellt hat, daß Lutz Schramm mitgearbeitet hat." gemeint ist, kann ich nicht genau einschätzen. Ist da meine Mitarbeit an den Höhnie Samplern gemeint? Oder "was anderes"? Letzteres dürfte dann sicher (!) ein Missverständnis sein. Vielleicht eine Verwechslung mit Lutz Bertram? Dass ich nicht bei der Firma (der richtigen) mitgearbeitet habe, habe ich in den letzten 20 Jahren 3 Mal schriftlich bestätigt bekommen - und kann es auf Nachfrage auch jederzeit persönlich bestätigen. Falls es eine Möglichkeit gibt, diese Ungenauigkeiten zu korrigieren, wäre ich dankbar." - Richtig ist, dass der ebenfalls bei Radio DT 64 tätige Moderator Lutz Bertram als "IM Romeo" tätig war (siehe Wikipedia (Stand 31. Mär. 2009, 14:15))).

Ich hab gehört, sein engster Mitarbeiter oder Schramm auch?
Hagen: Der hat ja auch Reisefreiheit gehabt. Der konnte auch mal nach Westberlin rüber, wenn da ein Konzert war (Anmerkung von Lutz Schramm: "Reisen konnte ich vor dem 9.11.89 genau zweimal in den "Westen" - einmal 1988 in die Schweiz (auf Einladung eines Radiokollegen) und im Oktober 89 zur BID nach W-Berlin. So wie sich das da liest --- mal zu Konzerten nach Westberlin --- das gab's erst ab 10.11.89 ;)"). Das muss so Frühjahr '89 gewesen sein, da waren wir beim Gitarristen oder Bassisten von WARTBURGS FÜR WALTER...da stand eine Cassette im Regal "SK - saugeil!"
Das war KULT gewesen! Das war komplett unmöglich! Wir waren damals mit den FANATISCHEN FRISÖREN in Berlin bei Aljoscha von FEELING B, der hat damals Sachen organisiert, das nannte sich nicht Auftritt sondern öffentliche Probe, denn öffentlich proben durfte man. Aber Auftritt war nicht genehmigt.
Wie lief das ab?
Hagen: Das war eine öffentliche Probe in einem Jugendklub. Das war am Ost-Tierpark, war ein ganz normaler Jugendklub mit PA auf der Bühne. Die Leute haben keinen Eintritt bezahlt und sind reingegangen.
Durch Mundpropaganda natürlich, keine Plakate etc.
Hagen: Aljoscha war eine Größe...
Lutz Schramm hat einmal im Interview gesagt, er hat vor der Wende FANATISCHE FRISÖRE im Radio auf DT 64 gespielt und da gabs gleich 'ne Anfrage von der Stasi hier aus der Ecke.
Lippe: Der Kultstatus von SK kommt auch daher, daß Otze schon damals selbst Aufnahmen gemacht hat. Die Aufnahmen sind überall rumgegangen in der Szene, auch wenn's ne Schweine-Qualität war, hatte jeder das Zeug schon mal irgendwo gehört.
Weil Tapes in der DDR zwanzigfach kopiert wurden, mindestens!
Lippe: Genau. Es gab nicht viele Bands, die Aufnahmen von sich hatten. Das war schon mal der erste Haken. Auch wenn SK irgendwo gespielt hat, es hat niemals so richtig hingehauen, der Auftritt war immer verkorkst. Vielleicht hat es auch mit daran gelegen, ich weiss nicht warum.(allgemeines Lachen)
Hat es auch was mit der DDR VON UNTEN-Platte zu tun gehabt, die im Westen rauskam?
Lippe: Na klar, das hat sich rumgesprochen.
Wie seid Ihr beide eigentlich zu SK gekommen?
Lippe: Ich hab ihn kennengelernt durch die Schwester meiner damaligen Freundin, Elvira. Die hat Otze in Erfurt im "Moskau" zur Disco kennengelernt. Und wie das nun mal so ist, Schwestern und so, ist er dann mal mit nach Gotha gekommen. Aber vorher hat sie von Otze ein Tape geschenkt gekriegt mit SK-Aufnahmen. SK haben wir alle schon gekannt damals, aber meist nur miese Qualität und sie bringt da plötzlich ein Tape mit an, steckt es rein nachmittags zu Hause in Sömmerda und es waren total tolle Aufnahmen. Glasklar, fast kein Rauschen, keine Reinlöschdinger. "Wo hast denn das her?" "Ich hab den Sänger kennengelernt." Ein paar Wochen später war ich wieder dort zum Kaffeetrinken nachmittags und sie ist mit ihrer Lehrfreundin zum Bahnhof gegangen und haben Otze abgeholt und Niels Kraushaar, den "Sackhaar", mit dazu. Wo sie wieder ankam, waren ihre Eltern mittlerweile von der Arbeit zu Hause gewesen und wir konnten dort nicht länger bleiben, weil die sonst rumgenölt hätten. Da meint ihre Lehrfreundin, wir fahren zu mir nach Waltershausen, meine Eltern sind im Urlaub für zwei Wochen, da können wir das Wochenende bleiben, da stören wir keinen. Dann sind wir dort alle hingefahren, haben das ganze Wochenende getrunken, Musik gehört, Party gemacht und darauf kam er öfters mal nach Gotha. Hagen hab ich damals auch schon gekannt, der hat ein Haus mit einem kleinen Proberaum drinne gehabt. Da stand ein Schlagzeug drinne für 'nen Kumpel, der damals auch 'ne Band machen wollte. Keiner konnte zwar was richtig, aber irgendwann stand Otze in der Tür und hat gesehen wie ich da nachmittags allein auf dem Schlagzeug rumgekloppt habe. Da hat er sich die Gitarre umgehängt, ein bisschen gespielt und ich hab versucht, da ein bisschen was dazu zu spielen. Und da meint er, das ist ja nicht schlecht was Du machst. Hast Du nicht Lust, bei mir in der Band mitzumachen? Da hab ich gedacht, äh, das geht doch gar nicht, ich kann doch überhaupt nicht spielen. Doch ja, ich such 'nen neuen Schlagzeuger, ich spiel selbst zur Zeit Schlagzeug, da hab ich keinen Bock mehr drauf, ich würd gerne wieder Gitarre spielen. Wenn Du meinst, ich kanns probieren, aber ich glaube nicht, daß da erstmal was draus wird. Und so ging das eben los
Und dann hast Du ein bisschen geprobt!
Lippe: Er hat mir ein paar Rhythmen gezeigt, die ich üben soll. Dann bin ich zur ersten Probe rüber nach Stotternheim gefahren, da kam Dippel von der Armee wieder, haben sie das erste Mal wieder richtig geprobt, Hempt von MANDATA hat Gitarre gespielt, Otze Schlagzeug und Dippel Bass. Sobald Otze gemerkt hat, daß es bei mir langsam kommt - wir haben zwischendurch zu zweit geprobt - da hat er gleich den MANDATA-Typ rausgeklatscht und ab da hab ich dann Schlagzeug gespielt. Probe für Probe kam dann mal ein neues Lied dazu, das ging nicht von heute auf morgen. Das hat ewig gedauert, bevor ich da richtig mitspielen konnte. So hat sich das entwickelt gehabt.

SCHLEIM-KEIM im Jugendclubhaus Mozartstraße in Freital (Sachsen)
Foto: Thomas Morgenroth, www.thomas-morgenroth.de

Wann und wo war dein erster Auftritt mit SK?
Lippe: In Erfurt im Lutherpark, auch bei 'ner Kirchenwerkstatt, Open-Air. Da hat noch CHARLIE KAPUTT aus Chemnitz mitgespielt und noch 'ne Band, an den Namen kann ich mich absolut nicht mehr erinnern. Da hatte ich mir noch das Bein gebrochen, musste beim ersten Auftritt mit Gipsbein spielen!
Wie hast Du das denn geschafft?
Lippe: Ich hab die Hi-Hat zugemacht, da ich den Hi-Hat-Fuß nicht gebrauchen konnte, hab das gebrochene Bein unters Standtom gestellt und mit dem linken Bein die Fußtrommel getreten! So hab ich dann Schlagzeug gespielt, ging aber trotzdem ganz gut.
Unglaublich, unglaublich! Da war aber Klaus schon lange draussen!?
Lippe: Klaus war schon lange draussen, der hat '84 oder '85 aufgehört.
Ist Klaus von selber gegangen oder hat Otze ihn rausgeschmissen?
Lippe: Die müssen sich öfter gestritten haben wegen irgendwelchem Schnick-Schnack wie es unter Brüdern so ist. Das muss dann soweit gegangen sein, daß sie sich auch auf der Bühne ab und zu gestritten haben. Otze hat D. kennengelernt und hat sie mit nach Stotternheim geschleppt und D. hat dadurch den Klaus kennengelernt und dadurch sind die beiden zusammengekommen. Sie hat dann mehr oder weniger 'nen Riegel davorgeschoben so nach dem Motto "Hör doch auf, wenn ihr euch nur noch streitet!" Wo ich dann angefangen hatte in der Band zu spielen war ich auch öfters in Stotternheim wenn kleine Familienfeiern waren, selbst Dippel hat dort seinen Geburtstag im Proberaum gefeiert. Heidi ist zur Wendezeit nach München abgehauen, weil sie da einen Typen kennengelernt hatte, aber trotzdem ist sie zurück nach Stotternheim, um dort ihren Geburtstag zu feiern. Klaus und D. haben ja gleich im Nachbarhaus gewohnt, wir alle rüber und Klaus und Dieter haben nebeneinander gesessen und Otze ist Klaus den ganzen Abend auf'n Kranz gegangen, ob er nicht wieder mitspielen will, 'ne 2. Gitarre. Klaus war nicht abgeneigt, da er eh die ganzen Jahre für sich alleine weitergespielt hat. Irgendwann flog die Tür auf und D. kam rein, angetrunken: "Was ist denn hier los?" Otze meinte: "Das hat dich gar nicht zu interessieren!" "Ich seh doch, daß ihr was im Schilde führt!" Klaus: "Iss nichts weiter." "Ich will jetzt wissen über was ihr diskutiert!" Dippel hat sich gar nicht reingehangen ins Gespräch, der hatte D. schon besser gekannt als ich. Dann hat Otze gesagt: "Ich hab Klaus gefragt, ob er nicht wieder mitspielen möchte. Wir würden gerne mit zwei Gitarren spielen." "Nein, das kommt überhaupt nicht in Frage, das ging damals schon nicht gut, dann ledert ihr euch wieder, kriegt euch wieder in die Haare!" Da meinte Klaus: "Wir sind doch älter geworden, das passiert jetzt nicht mehr!" "Nein, da hab ich was dagegen, da spielst du nicht wieder mit!" Da war das Thema abgegessen!
D. hat das quasi entschieden.
Lippe: D. hat das eigentlich für Klaus entschieden!
Hagen, wie war's bei Dir? Wie bist Du in die Band gekommen?
Hagen: Otze war in Gotha präsent seit '86/'87, er wurde auch als Punkgott gehandelt und jeder war froh, mit Otze ein Bier getrunken zu haben, aber diese Euphorie hat sich relativ schnell gegeben, denn jeden Tag nur mit Gott Bier trinken ist auch nicht so toll. Wir kannten uns vom Sehen her sowieso, ich wusste, wer er ist, er kannte mich von der Person her und das war dann gewesen, als Dippel das Handtuch geschmissen hat. Das war das naheliegendste, da hat er mich gefragt, ob ich das mach. Okay, den Auftritt mach ich mit, proben ist nicht so weiter aufregend, zweimal geprobt, dann kriegen wir das schon hin.
Die Lieder kanntest du sicherlich auch...
Hagen: Das ist auch nicht die Welt, das ist ja relativ simpel die ganze Sache. Das hat Otze Ehrlich immer gesagt, er hat die Lieder so gemacht, daß man sie auch im Suff spielen kann. (Lachen) Ob das nun Absicht war, möchte ich bezweifeln, aber er hat es so gesagt!
Lippe: Kurz zuvor hatten sich auch die FRISÖRE aufgelöst.
Hagen: Die haben sich nicht aufgelöst, die sind in den Westen gegangen, die waren nicht mehr da
Otze hat dich quasi einfach so...
Hagen: In der "Zelle" bei der Disko hat er gefragt, wie sieht es aus und mit seinen Sprüchen "Dann sind wir Rockstars, können Weiber haben", was mich alles nicht so interessiert hat, denn es geht um die Sache. Es ging eigentlich um einen Auftritt in der "Zelle", da war so 'ne Werkstatt vor Ort. Das war die Zeit, wo das "Ata, Fit, Spee" im Jugendradio DT 64 lief.
Sommer '91.
Hagen: Und damit der Auftritt stattfindet, hab ich gesagt, machen wir, ist gebongt die Sache! Dann haben wir zweimal geprobt und dann ist es dabei geblieben. Dann kam dort wieder 'mal ne Anfrage und da, machen wir halt.

Was hat sich mit der Wende geändert oder hat sich für Euch, was SCHLEIM-KEIM angeht, gar nicht so viel geändert?
Hagen: Ich bin ja erst nach der Wende mit SK aufgetreten. Ich kenne nur die Atmosphäre von den Kirchenwerkstätten und das war schon sehr spektakulär. Die Macher kamen aus der Langhaarigenszene und die Punker kamen mit der Sache drumherum nicht klar und das war der einzige gemeinsame Punkt. Die Gemeinsamkeit war, daß alle Leute unzufrieden waren mit den politischen Umständen. Die haben sich unter diesem Kirchendach getroffen, das war der Raum dafür und haben auch die Punker mitgenommen, das war auch spektakulär. Weil, da 'ne Punk-Band wie SK spielen zu lassen, das zieht ja auch Leute lang hin. Es gab auch freche Pöbeleien von wegen "die Langhaarigen" und so, was sich eigentlich nicht gehört, wenn ich bei jemand zu Gast bin, das wurde eben alles so hingenommen. Das war das Feeling damals. SK zum ersten Mal gesehen, das muß die Werkstatt in Jena gewesen sein.
Wo Otze sich auf der Fahrt als Bauarbeiter verkleidet hat!
Hagen: Kann sein. Das war in Jena nicht im Kassablanca, sondern in einem Kirchengebäude Richtung Lobeda, Neubaugebiet. Das muss '86 gewesen sein, nee früher.
Lippe: '86 waren glaube ich gar keine Auftritte, weil Dippel bei der Fahne (umgangsspr. für Armee, Anm. des Verfassers) war.
Hagen: Da bin ich aber Lehrling gewesen, das muß doch zwischen '86 und '87 gewesen sein. Und da war auch SK und das war spektakulär!
Was war so das spektakuläre an einem SK-Gig? Was war anders als bei anderen Punk-Bands?
Hagen: Erstmal, andere Punk-Bands habe ich nie gesehen. Da haben auch verschiedene Bands gespielt. Allein das Feeling, war ebenerdig, Bühne sowieso nicht, ein relativ grosser Gemeinderaum, wo man locker so 150 Leute reinkriegt und da stand genau der selbe Müll rum, der im Proberaum rumstand, die zusammengewürfelten Boxen und damit wurde ein Konzert gemacht! Das ging halt irgendwie!
Was war so spektakulär?
Hagen: Wie die Leute drauf abgefahren sind! Die Stimmung war gereizt, aggressiv! Kann man einfach nicht verheimlichen, das war mir auch ein bisschen unheimlich, aber was soll passieren? Und das war tagsüber! Nicht irgendwie abends, es war nicht dunkel, allein das schon...
Aber was war das spektakuläre, die Musik, die Texte oder alles zusammen?
Hagen: Das zum ersten Mal gesehen zu haben! Die Texte haste doch sowieso nicht verstanden, ist doch Unsinn, haste nicht rüberbekommen mit dem Equipment! Entweder du kanntest sie, du hast dort keinen Text rausgehört! Du hast nur das Feeling mitbekommen. Da hab ich sie zum ersten Mal gesehen, ich hab das einfach nur so als Randnotiz mitgenommen.
Warst Du nicht wegen der Musik da?
Hagen: Wegen der Veranstaltung selber, da waren verschiedene Sachen unterwegs, das nannte sich Kirchenwerkstatt, ging über zwei Tage. War das nicht sogar die Urzeitaltergeschichte gewesen oder war das im Lutherpark? Die haben den Dingern gerne einen Namen gegeben und eins hiess mal "Zurück ins Urzeitalter"!
Hat da Otze das Lied her?
Hagen: Nein, die haben das nach dem Lied benannt! Das Lied war zuerst da!
Du bist also nicht wegen SCHLEIM-KEIM hingefahren!
Hagen: Es ging mir einfach um die Veranstaltung selber, diese "Kirche von Unten"-Bewegung und so ein bisschen diese Demokratie, wenn irgendwas war hier und Du dich artikulieren und äußern wolltest, dann ging das nur in diesen kirchlich geschützten Räumen!
War Jena nicht das Zentrum der Bewegung "Schwerter zu Pflugscharen"?
Hagen: Der Friedenskreis Jena war ein Zentrum. Jena und Leipzig. Die haben das entworfen und aus Jena waren auch die ersten, die sich mit der Charta 77 in Verbindung gesetzt haben. Da waren Kaktus und Blase involviert.
Habt Ihr damals damit gerechnet, daß auch in Kirchenkreisen alles von der Stasi überwacht wurde?
Lippe: Daß die dabei waren, war klar! Aber ich hab gedacht, daß wenn da so 'ne Werkstatt in der Kirche ist, da so zwei oder drei dazwischen rumstolpern, die von der Stasi sind. Aber daß es dann - wie es später rauskam - viele waren, die da drinne waren, daß selbst unter den Punkern welche waren, die mit der Stasi richtig zusammengearbeitet haben, das hätte ich nie gedacht früher!

PRÜGELKNABEN (1985)

Wir wollen nicht mehr, wie ihr wollt
wir wollen unsere Freiheit
wir sind das Volk, wir sind die Macht
wir fordern Gerechtigkeit
Wir sind das Volk, wir sind die Macht
Es ist zu spät, wenn es erst mal kracht

Das ist die Realität
und du merkst, wie die Zeit vergeht
du merkst, wie du langsam hier verfaulst
und wie eine kranke Katze jaulst

Gedanken werden sterilisiert
Worte durch Zensur kastriert
Bilder verfälscht, um den Schein zu wahren
sich stärker zeigen nach langen Jahren
den Willen nehmen und verformen
in Normen durch genormte Normen
aufbegehren durch Gewalt verwehren
sich nur um des Nachbars Fehler scheren

Das ist die Realität
und du merkst, wie die Zeit vergeht
du merkst, wie du langsam hier verfaulst
wie eine kranke Katze jaulst

Aber obwohl die Stasi im Bewusstsein immer dabei war, war doch 'ne Menge Enthusiasmus und auch Fun dabei! Hat man da die Stasi-Geschichte total verdrängt?
Lippe: Da haben wir gar nicht drüber nachgedacht.
Hagen: Im Prinzip hat ja keiner gesagt, ihr seid scheisse. Es war nur 'ne Meinungsäußerung. Es wurde halt alles überwacht! Der Hintergrund war, man musste immer aufpassen, sich keinen Ärger einzuhandeln. Wer will schon ständig 'ne Hausdurchsuchung? Irgendwelche Klamotten beschlagnahmen, das konnte ich alles nicht gebrauchen. Obwohl es eigentlich alles vorwandslos war! Kein Hintergrund, denn wir waren ja keine Systemkritiker oder Leute, die da ernsthaft gekratzt haben. Eigentlich wolltest Du deine Ruhe haben. Was wollten wir denn verändern? Es war scheisse, freilich, aber wie denn weiter? Wir waren nicht die Leute, die ein Zepter in die Hand genommen und gesagt hätten, da und da geht's lang! Man kann die Scheisse anprangern, ja, aber um mehr ging's nicht! Mehr war auch an Substanz gar nicht da!
Aber es hat auch 'ne Menge Leute mobilisiert! Die Punk-Konzerte zu DDR-Zeiten waren immer voll!
Hagen: Sicherlich, aber die Leute wollten doch nicht einen politischen Standpunkt klarmachen, sondern die wollten ihren Punk dort ausleben! Und das auch mal in akustischer Form umsetzen!
Lippe: So eine Werkstatt war zwei-, dreimal im Jahr - maximal! Wenn Du das erfahren hast, dann bist Du da hin, egal was gekommen ist! Heute hörst Du, nächstes Wochenende spielen - sag ich jetzt mal - EXPLOITED in Erfurt, da sagst Du, hab ich schon 3x gesehen, brauch ich nicht hin. Früher wär das undenkbar gewesen!
Oktober '92 habt Ihr in Berlin an einem Wochenende im Knaack-Klub und im Tacheles gespielt: Das einzige Mal, daß ich gesehen habe, daß ihr eine Playlist hattet mit 25 Songs, an die ihr euch sogar gehalten habt, du hast davon gesprochen, ein Bandauto zu kaufen, da sah es so aus, daß es ein bisschen in geregeltere Bahnen geht. Kurz danach habt Ihr Wochenendgigs mit ICH-FUNKTION gemacht, wieso ist das nicht in die Richtung weitergegangen?
Hagen: Das war Spinnerei!
Lippe: Wir hätten niemals das Geld für einen Bus zusammengekriegt.
Hagen: Für Dieter war das klar, Mario hat ein Auto gekauft, die Welt ist in Ordnung, wir kommen überall hin. Wo wir in Berlin waren, da bist du noch ohne Fahrerlaubnis, hin ist Kraushaar gefahren, dann zurück bist du schwarz gefahren.
Lippe: Genau. Da war ich noch im Führerschein drin.
Wie kamen denn die Gigs mit ICH-FUNKTION zustande?
Lippe: Zufällig, wir sind angeschrieben worden.
Hagen: Das war so 'ne Weihnachtsgeschichte.
Wollten nicht ICH-FUNKTION mit euch 'ne ganze Tour machen?
Hagen:: Die waren dann geheilt.
Lippe: Das waren aber mehrere Bands, die daran gedacht haben, mit uns mal was zusammen zu machen. DRITTE WAHL haben uns damals auch drauf angesprochen, daß sie das cool finden würden.
Hagen: Das wär nicht gutgegangen! So'n Ding, wo du fünf, sechs, sieben Mal hintereinander irgendwo stehen musst, das kannste vergessen! Das hätte nie geklappt!
Warum?
Hagen: Unzuverlässigkeit!
Von Otze?
Hagen: Ich hab jetzt genickt!
Wär zu stressig gewesen?
Hagen: Ja, weil am Anfang ist ja alles schön. Ich kann ja zeigen, daß ich es mir leisten kann mit Abwesenheit zu glänzen. Was wollen denn die?
Ich dachte immer der einzige Gig im ehemaligen Westen wäre 1993 in Neustadt am Rübenberge gewesen. Im SK-Buch habe ich gelesen, daß ihr auch mal in Giessen gespielt habt!
Hagen: Ich war nicht dabei.
Lippe: Ich glaub, Dippel hat das organisiert mit ein paar Erfurtern zusammen, die haben damals ein paar Giessener kennengelernt, die SK kannten. Da sind wir dann damals rübergefahren, ich weiss nicht mehr wie der Klub hiess, das ging ein paar Treppen runter in den Keller. Da haben wir nicht lange gespielt, maximal 10 Lieder.
Warum?
Lippe: Keine Ahnung. Sound war scheisse auf der Bühne, wir haben uns überhaupt nicht gegenseitig gehört, dann war es schon zu später Stunde und ich glaube, wir hatten alle drei keinen richtigen Bock. Der Klub war auch nicht gut gefüllt, es hatte sich nicht gut rumgesprochen, daß wir dort spielen, war eben nicht soo doll. Das war relativ kurz nach der Wende, da hab ich mich noch gewundert, Dippel ist mit dem Wartburg gefahren und plötzlich - auf dem Beifahrersitz saß Gunsilius - Gunsilius sich'n Bier uffgemacht und Dippel: "Laß mich auch mal trinken!", nimmt das Bier während der Fahrt auf der Autobahn und trinkt 'nen Schluck. Ich sag: "Bist Du 'ne Sau, du kannst doch nicht beim Autofahren Bier trinken!" Dippel: "Jetzt ist es besser, wir sind nicht mehr im Osten, jetzt ist es nicht mehr soo schlimm!" (Lachen)

Das war wahrscheinlich bevor der 1. DDR-Sampler rauskam.
Lippe: Das war davor.
Und da kannte euch ja im Westen so gut wie keiner. Im Buch sagt auch jemand von euch, ihr habt euch gar nicht so um Gigs im Westen gekümmert.
Hagen: Wir haben uns gar nicht gekümmert!
Die Briefe, die ihr gekriegt habt, waren die fast alle aus dem ehemaligen Osten?
Lippe: Das meiste, aber es kamen auch von drüben ein paar Anfragen. Ein paar Briefe lagen dann immer da und ich hab die aufn Tisch geschmissen, hier wieder Auftrittsangebote, jeder ein bisschen drin rumgelesen "ach nee, das kannst vergessen, da wollen wir nicht spielen", "ach nee, komm, scheisse".und so. Dann war ein Brief dabei, da hat einer geschrieben "Ich bin der grösste Fan von Euch! Könnt Ihr mir nicht euren Tourmercedes, der nicht mehr funktioniert, wenn ihr mir den zuschickt, das wär das allergrößte!" Hagen meinte, wir haben noch nicht mal jeder einen eigenen PKW. Wie war das denn, wo wir uns total zerhackt haben mit der vollgeschissenen Unterhose?
Hagen: Gebrauchte Schlüpfer.
Lippe: Da meinte Otze, wir nehmen irgendwoher einen alten Mercedes, scheissen alle drei innen Schlüpfer, legen den aufn Rücksitz und schicken das Ding als Paket zu! (Lachen)
Ihr habt das quasi zu dritt entschieden, da spielen wir und da spielen wir nicht!
Lippe: Genau! Eigentlich auch nur da - weil schreiben war zu blöde, immer schreiben und zurückschicken - wo eine Telefonnummer drunterstand, daß wir die anrufen konnten "alles klar", die Gage ausgemacht und daß wir nichts mitbringen ausser Gitarren und Schlagzeugverschleissteile, da wir eh nur mit 'nem PKW kommen. Die sich darauf eingelassen haben, da haben wir auch gespielt!
Oder ihr habt Gigs nachgeholt wie in Sondershausen. Da war gerade die blaue Platte draussen, denn Dippel kam an und hat danach gefragt, war total interessiert, obwohl er da schon lange nicht mehr mitgespielt hat. Ihr wart auch angekündigt, aber irgendwie ist das nicht zu Euch durchgedrungen.
Hagen: Sondershausen, wo die beiden Gruftitanten da waren.
Lippe: Ach ja stimmt, da war Ficker-Gerd doch noch mit und hat die eine abgeschleppt! Wir haben dann bei den zwei Gruftiweibern gepennt.
Hagen: Die wolltens unbedingt!
Lippe: An was ich mich noch erinnern kann, wo war denn das noch, das hat Dippel damals ausgemacht, das war sowas von traurig, irgendwo hinter Nordhausen so ein Dörfchen auf der Festwiese. Wenn die Blaskapelle spielte, da hatten die so eine offene Garage hingemauert, nur mit so 'nem kleinen Schleppdach obendrauf, aber ringsherum die Wände zu. Und eine Bühne hingemauert, so 5x4 Meter, alles massiv, da drin hat auch 'ne Bluesband gespielt. Ich dachte, was geht denn jetzt ab, wo sind wir denn hier gelandet? Wir dachten, da müssen dochmal ein paar Punker kommen. Irgendwann am späten Abend kamen 10 Punks, die waren aus Nordhausen, sonst war nur Dorfjugend da. Omas und Opas kamen da angeschlumpert, mit Strickjäckchen, 70 Jahre. Was soll denn das hier werden? Was total geil war, wo wir dann gespielt haben, Otze hat 'nen selbstgebauten kleinen Verzerrer gehabt, das war sein ganzer Stolz, und irgendsoein Hippie mit Schellparka, lange fettige Loden, mit 'ner Weinflasche in der Hand, zerruppte Jeanshose, der stand die ganze Zeit vor der Bühne, dem muss es irgendwie gefallen haben. Irgendwann ist er auf die Bühne hoch und ist immer vor Otze langgelatscht und immer wieder auf den Verzerrer drauf! Ich dachte der Ehrlich wird wahnsinnig: "Mach dich von der Bühne runter, mein Verzerrer, du latscht mir alles kaputt!" Der Typ war so tütenzu, der hat das gar nicht mitgeschnitten und es ging immer wieder auf den Verzerrer drauf. Irgendwann stand der ziemlich nah an dem kleinen Bühnenvorsatz vorn an der Kante mit der Flasche Wein in der Hand, hat mich angeguckt, da hat Otze ihm 'nen Schubs gegeben, da ist der nach hinten umgefallen, von der Bühne runter, die Weinflasche uffgeschlagen und er lag vor der Bühne rum. "Äääähhh!", total zerstört! Der ist liegengeblieben, der war fertig! Das war das Highlight des ganzen Abends!
Bei SK war ja immer viel Chaos. Wie ist denn dieses SK-Logo und das Cover der 1. EP entstanden? Hat Otze immer alles vorgegeben oder konnten sich andere Leute auch mal einbringen in die Band?
Lippe: Von der "Schwarz-Rot-Gold - nie gewollt", das hab ich eigentlich mal nur so aus Gaudi bei mir nachmittags in der Stube rumgekritzelt. Dann hat ich das Ding fertiggemalt und habs hinter die Schrankwand geschmissen. Da stand eh nichts weiter drin ausser die Anlage und da lagen noch Kassetten drin. Nachmittags kam Otze zu mir, da war die Musik alle und er hat in den Cassetten rumgewühlt und plötzlich ist ihm das Ding aufgefallen, hats hochgehoben. "Das ist ja genial, wer hat denn das gemalt?" "Das hab ich gemalt!" "Echt jetzt! Das nehmen wir für irgendeine Platte! Schmeiss das nicht weg, heb das auf!" Dann hab ichs in Schrank reingesteckt und das war dann auch so, für die 1. Single ist das Ding als Cover rausgekommen.

Also Otze hat auch mal Bandmitglieder ermuntert...
Lippe: Er hat auch zu mir gesagt, wenn ich einen guten Text schreibe, dann machen wir da ein Lied draus! Aber damals hatte ich überhaupt nichts mit Textschreiben am Hut, ich war froh, daß ich das Schlagzeug gespielt gekriegt habe! Zu Dippel hat er mal gesagt: "Wir brauchen neue Lieder, wir sind die unkreativste Punk-Band, die es gibt!"

Besetzung:
Dieter "Otze" Ehrlich - Gesang, Gitarre (Schlagzeug bis 1985, zwischendurch auch Bass)
Hagen Schröder - Bass, Chor (ab 1991) vorher bei FANATISCHE FRISÖRE
Mario "Lippe" Lippmann - Drums, Chor (ab 1987)
Andreas "Dippel" Deubach - Bass, Chor (mit Unterbrechung bis 1991)
Klaus Ehrlich - Gitarre (bis 1985)
Andreas "Fozzy" von Nida - Schlagzeug (1985/86) ein Jahr später Gründer der FANATISCHEN FRISÖRE

Literatur

  • Anne Hahn, Frank Willmann: Satan, kannst du mir noch mal verzeihen. Otze Ehrlich, Schleimkeim und der ganze Rest. Ventil Verlag, Mainz 2008

Diskografie

  • DDR von unten/Ende (Split LP mit Zwitschermaschine, 1983)
  • Abfallprodukte der Gesellschaft LP/CD (1992)
  • Schwarz, rot, gold, nie gewollt EP (Aufnahmen ca. von 1988, erschienen 1992)
  • Geldschein EP (1993)
  • Mach dich doch selbst kaputt - Live in Chemnitz LP/CD (1994, LP 2003)
  • Drecksau EP (Aufnahmen ca. von 1995, erschienen 1998)
  • Nichts gewonnen, nichts verloren LP + EP/CD (Die Stotternheim-Tapes 1984-87, erschienen 2000, CD 2005)
  • Bonus EP DDR Von Unten (Reproduktion der Saukerle-Seite der Split LP mit Zwitschermaschine, erschienen 2000)
  • Nichts Gewonnen Nichts Verloren Vol. 2 LP/CD (Die Gotha-Tapes 1988-90, erschienen 2003, CD 2004)
  • Leck mich am Arsch Bonus-EP (2003)

Samplerbeiträge:

  • Ausbruchsversuch Nr.1 (Trash Tape Rekords 01 1987) (1987)
  • DDR Störfaktor (Aggressive Punk Tapes f*ck 01 1991) (1991)
  • Erfurt-Sampler ZÄHNE 91 LP (1991)
  • Sicher gibt es bessere Zeiten, doch diese war die unsere Vol. 1 LP/CD (1991)
  • Sicher gibt es bessere Zeiten, doch diese war die unsere Vol. 2 LP/CD (1992)
  • Sicher gibt es bessere Zeiten, doch diese war die unsere Vol. 3 Doppel-LP/CD (1993)
  • Punk will never die! - WORLD COMPILATION LP (1994)
  • BRD Punk Terror Vol. 1 CD (1995)
  • BRD Punk Terror Vol. 2 CD (1997)
  • BRD Punk Terror Vol. 3 CD (1999)
  • BRD Punk Terror Vol. 5 CD (2006)
  • Auferstanden aus Ruinen - der Soundtrack zur Wi(e)dervereinigung CD (1999)
  • Gegen Nazis Sampler LP/CD
  • Punk Rock BRD Vol. 1 3x-CD-BOX (Weird System)

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