Habt Ihr versucht, Otze umzustimmen oder habt Ihr euch rausgehalten?
Hagen: Das war für mich gegessen. Otze hat gesagt, wir spielen
nicht und dann war das gegessen.
Lippe: Dann wars okay, spielen wir nicht, fertig. In Lauchröden
hat ers genauso gemacht.
Hagen: Das war aber Veranstaltersache. Da hiess es genauso, ihr braucht
nichts mitzubringen nur euren Kram und es war einfach nicht da. Wir
haben gesagt, Veranstalter kümmer dich und die haben sich nicht
gekümmert, also stands nicht da, fertig, da sind wir eben wieder
abgefahren.
Ihr meint also nicht, dass ihm der Ruhm zu Kopf gestiegen ist? Otze
meinte mehrmals zu mir, daß viele Frauen nur mit ihm abgeschoben
sind, weil er der Sänger von SCHLEIM-KEIM war.
Lippe: Nach der Wende war der Kultstatus um SK eigentlich nicht mehr
so schlimm wie es vor der Wende war.
Hagen: Vor der Wende war das eine Legende, nachher war es erst Kult.
So muss man das sehen.
Wodurch hatte sich der Kultstatus Eurer Meinung nach aufgebaut vor
der Wende?
Hagen: Es gab nicht jedes Wochenende irgendwo ein Konzert. Auf Hinterhöfen
und meistens wenn was war, dann hiess es Kirche/Werkstatt, eventuell
mal irgendwo 'ne private Party. Aber das kam sehr selten vor. Um es
mal anders zu sagen, ich war auch mal bei Lutz Schramm, Jugendradio
DT 64, der hat zum Beispiel gesagt, er kann sich vieles erlauben, aber
SK kann er nicht spielen. Dann wär das seine letzte Sendung gewesen.
Obwohl sich im Nachhinein rausgestellt hat, daß Lutz Schramm mitgearbeitet
hat (Anmerkung von Lutz Schramm: "Wie der Satz "Obwohl
sich im Nachhinein rausgestellt hat, daß Lutz Schramm mitgearbeitet
hat." gemeint ist, kann ich nicht genau einschätzen. Ist da
meine Mitarbeit an den Höhnie Samplern gemeint? Oder "was
anderes"? Letzteres dürfte dann sicher (!) ein Missverständnis
sein. Vielleicht eine Verwechslung mit Lutz Bertram? Dass ich nicht
bei der Firma (der richtigen) mitgearbeitet habe, habe ich in den letzten
20 Jahren 3 Mal schriftlich bestätigt bekommen - und kann es auf
Nachfrage auch jederzeit persönlich bestätigen. Falls es eine
Möglichkeit gibt, diese Ungenauigkeiten zu korrigieren, wäre
ich dankbar." - Richtig ist, dass der ebenfalls bei Radio DT 64
tätige Moderator Lutz Bertram als "IM Romeo" tätig
war (siehe Wikipedia
(Stand 31. Mär. 2009, 14:15))).
Ich hab gehört, sein engster Mitarbeiter oder Schramm auch?
Hagen: Der hat ja auch Reisefreiheit gehabt. Der konnte auch mal nach
Westberlin rüber, wenn da ein Konzert war (Anmerkung von Lutz
Schramm: "Reisen konnte ich vor dem 9.11.89 genau zweimal in den
"Westen" - einmal 1988 in die Schweiz (auf Einladung eines
Radiokollegen) und im Oktober 89 zur BID nach W-Berlin. So wie sich
das da liest --- mal zu Konzerten nach Westberlin --- das gab's erst
ab 10.11.89 ;)"). Das muss so Frühjahr '89 gewesen sein,
da waren wir beim Gitarristen oder Bassisten von WARTBURGS FÜR
WALTER...da stand eine Cassette im Regal "SK - saugeil!"
Das war KULT gewesen! Das war komplett unmöglich! Wir waren damals
mit den FANATISCHEN FRISÖREN in Berlin bei Aljoscha von FEELING
B, der hat damals Sachen organisiert, das nannte sich nicht Auftritt
sondern öffentliche Probe, denn öffentlich proben durfte man.
Aber Auftritt war nicht genehmigt.
Wie lief das ab?
Hagen: Das war eine öffentliche Probe in einem Jugendklub. Das
war am Ost-Tierpark, war ein ganz normaler Jugendklub mit PA auf der
Bühne. Die Leute haben keinen Eintritt bezahlt und sind reingegangen.
Durch Mundpropaganda natürlich, keine Plakate etc.
Hagen: Aljoscha war eine Größe...
Lutz Schramm hat einmal im Interview gesagt, er hat vor der Wende
FANATISCHE FRISÖRE im Radio auf DT 64 gespielt und da gabs gleich
'ne Anfrage von der Stasi hier aus der Ecke.
Lippe: Der Kultstatus von SK kommt auch daher, daß Otze schon
damals selbst Aufnahmen gemacht hat. Die Aufnahmen sind überall
rumgegangen in der Szene, auch wenn's ne Schweine-Qualität war,
hatte jeder das Zeug schon mal irgendwo gehört.
Weil Tapes in der DDR zwanzigfach kopiert wurden, mindestens!
Lippe: Genau. Es gab nicht viele Bands, die Aufnahmen von sich hatten.
Das war schon mal der erste Haken. Auch wenn SK irgendwo gespielt hat,
es hat niemals so richtig hingehauen, der Auftritt war immer verkorkst.
Vielleicht hat es auch mit daran gelegen, ich weiss nicht warum.(allgemeines
Lachen)
Hat es auch was mit der DDR VON UNTEN-Platte zu tun gehabt, die im
Westen rauskam?
Lippe: Na klar, das hat sich rumgesprochen.
Wie seid Ihr beide eigentlich zu SK gekommen?
Lippe: Ich hab ihn kennengelernt durch die Schwester meiner damaligen
Freundin, Elvira. Die hat Otze in Erfurt im "Moskau" zur Disco
kennengelernt. Und wie das nun mal so ist, Schwestern und so, ist er
dann mal mit nach Gotha gekommen. Aber vorher hat sie von Otze ein Tape
geschenkt gekriegt mit SK-Aufnahmen. SK haben wir alle schon gekannt
damals, aber meist nur miese Qualität und sie bringt da plötzlich
ein Tape mit an, steckt es rein nachmittags zu Hause in Sömmerda
und es waren total tolle Aufnahmen. Glasklar, fast kein Rauschen, keine
Reinlöschdinger. "Wo hast denn das her?" "Ich hab
den Sänger kennengelernt." Ein paar Wochen später war
ich wieder dort zum Kaffeetrinken nachmittags und sie ist mit ihrer
Lehrfreundin zum Bahnhof gegangen und haben Otze abgeholt und Niels
Kraushaar, den "Sackhaar", mit dazu. Wo sie wieder ankam,
waren ihre Eltern mittlerweile von der Arbeit zu Hause gewesen und wir
konnten dort nicht länger bleiben, weil die sonst rumgenölt
hätten. Da meint ihre Lehrfreundin, wir fahren zu mir nach Waltershausen,
meine Eltern sind im Urlaub für zwei Wochen, da können wir
das Wochenende bleiben, da stören wir keinen. Dann sind wir dort
alle hingefahren, haben das ganze Wochenende getrunken, Musik gehört,
Party gemacht und darauf kam er öfters mal nach Gotha. Hagen hab
ich damals auch schon gekannt, der hat ein Haus mit einem kleinen Proberaum
drinne gehabt. Da stand ein Schlagzeug drinne für 'nen Kumpel,
der damals auch 'ne Band machen wollte. Keiner konnte zwar was richtig,
aber irgendwann stand Otze in der Tür und hat gesehen wie ich da
nachmittags allein auf dem Schlagzeug rumgekloppt habe. Da hat er sich
die Gitarre umgehängt, ein bisschen gespielt und ich hab versucht,
da ein bisschen was dazu zu spielen. Und da meint er, das ist ja nicht
schlecht was Du machst. Hast Du nicht Lust, bei mir in der Band mitzumachen?
Da hab ich gedacht, äh, das geht doch gar nicht, ich kann doch
überhaupt nicht spielen. Doch ja, ich such 'nen neuen Schlagzeuger,
ich spiel selbst zur Zeit Schlagzeug, da hab ich keinen Bock mehr drauf,
ich würd gerne wieder Gitarre spielen. Wenn Du meinst, ich kanns
probieren, aber ich glaube nicht, daß da erstmal was draus wird.
Und so ging das eben los
Und dann hast Du ein bisschen geprobt!
Lippe: Er hat mir ein paar Rhythmen gezeigt, die ich üben soll.
Dann bin ich zur ersten Probe rüber nach Stotternheim gefahren,
da kam Dippel von der Armee wieder, haben sie das erste Mal wieder richtig
geprobt, Hempt von MANDATA hat Gitarre gespielt, Otze Schlagzeug und
Dippel Bass. Sobald Otze gemerkt hat, daß es bei mir langsam kommt
- wir haben zwischendurch zu zweit geprobt - da hat er gleich den MANDATA-Typ
rausgeklatscht und ab da hab ich dann Schlagzeug gespielt. Probe für
Probe kam dann mal ein neues Lied dazu, das ging nicht von heute auf
morgen. Das hat ewig gedauert, bevor ich da richtig mitspielen konnte.
So hat sich das entwickelt gehabt.
Wann und wo war dein erster Auftritt mit SK?
Lippe: In Erfurt im Lutherpark, auch bei 'ner Kirchenwerkstatt, Open-Air.
Da hat noch CHARLIE KAPUTT aus Chemnitz mitgespielt und noch 'ne Band,
an den Namen kann ich mich absolut nicht mehr erinnern. Da hatte ich
mir noch das Bein gebrochen, musste beim ersten Auftritt mit Gipsbein
spielen!
Wie hast Du das denn geschafft?
Lippe: Ich hab die Hi-Hat zugemacht, da ich den Hi-Hat-Fuß nicht
gebrauchen konnte, hab das gebrochene Bein unters Standtom gestellt
und mit dem linken Bein die Fußtrommel getreten! So hab ich dann
Schlagzeug gespielt, ging aber trotzdem ganz gut.
Unglaublich, unglaublich! Da war aber Klaus schon lange draussen!?
Lippe: Klaus war schon lange draussen, der hat '84 oder '85 aufgehört.
Ist Klaus von selber gegangen oder hat Otze ihn rausgeschmissen?
Lippe: Die müssen sich öfter gestritten haben wegen irgendwelchem
Schnick-Schnack wie es unter Brüdern so ist. Das muss dann soweit
gegangen sein, daß sie sich auch auf der Bühne ab und zu
gestritten haben. Otze hat D. kennengelernt und hat sie mit nach Stotternheim
geschleppt und D. hat dadurch den Klaus kennengelernt und dadurch sind
die beiden zusammengekommen. Sie hat dann mehr oder weniger 'nen Riegel
davorgeschoben so nach dem Motto "Hör doch auf, wenn ihr euch
nur noch streitet!" Wo ich dann angefangen hatte in der Band zu
spielen war ich auch öfters in Stotternheim wenn kleine Familienfeiern
waren, selbst Dippel hat dort seinen Geburtstag im Proberaum gefeiert.
Heidi ist zur Wendezeit nach München abgehauen, weil sie da einen
Typen kennengelernt hatte, aber trotzdem ist sie zurück nach Stotternheim,
um dort ihren Geburtstag zu feiern. Klaus und D. haben ja gleich im
Nachbarhaus gewohnt, wir alle rüber und Klaus und Dieter haben
nebeneinander gesessen und Otze ist Klaus den ganzen Abend auf'n Kranz
gegangen, ob er nicht wieder mitspielen will, 'ne 2. Gitarre. Klaus
war nicht abgeneigt, da er eh die ganzen Jahre für sich alleine
weitergespielt hat. Irgendwann flog die Tür auf und D. kam rein,
angetrunken: "Was ist denn hier los?" Otze meinte: "Das
hat dich gar nicht zu interessieren!" "Ich seh doch, daß
ihr was im Schilde führt!" Klaus: "Iss nichts weiter."
"Ich will jetzt wissen über was ihr diskutiert!" Dippel
hat sich gar nicht reingehangen ins Gespräch, der hatte D. schon
besser gekannt als ich. Dann hat Otze gesagt: "Ich hab Klaus gefragt,
ob er nicht wieder mitspielen möchte. Wir würden gerne mit
zwei Gitarren spielen." "Nein, das kommt überhaupt nicht
in Frage, das ging damals schon nicht gut, dann ledert ihr euch wieder,
kriegt euch wieder in die Haare!" Da meinte Klaus: "Wir sind
doch älter geworden, das passiert jetzt nicht mehr!" "Nein,
da hab ich was dagegen, da spielst du nicht wieder mit!" Da war
das Thema abgegessen!
D. hat das quasi entschieden.
Lippe: D. hat das eigentlich für Klaus entschieden!
Hagen, wie war's bei Dir? Wie bist Du in die Band gekommen?
Hagen: Otze war in Gotha präsent seit '86/'87, er wurde auch als
Punkgott gehandelt und jeder war froh, mit Otze ein Bier getrunken zu
haben, aber diese Euphorie hat sich relativ schnell gegeben, denn jeden
Tag nur mit Gott Bier trinken ist auch nicht so toll. Wir kannten uns
vom Sehen her sowieso, ich wusste, wer er ist, er kannte mich von der
Person her und das war dann gewesen, als Dippel das Handtuch geschmissen
hat. Das war das naheliegendste, da hat er mich gefragt, ob ich das
mach. Okay, den Auftritt mach ich mit, proben ist nicht so weiter aufregend,
zweimal geprobt, dann kriegen wir das schon hin.
Die Lieder kanntest du sicherlich auch...
Hagen: Das ist auch nicht die Welt, das ist ja relativ simpel die ganze
Sache. Das hat Otze Ehrlich immer gesagt, er hat die Lieder so gemacht,
daß man sie auch im Suff spielen kann. (Lachen) Ob das
nun Absicht war, möchte ich bezweifeln, aber er hat es so gesagt!
Lippe: Kurz zuvor hatten sich auch die FRISÖRE aufgelöst.
Hagen: Die haben sich nicht aufgelöst, die sind in den Westen gegangen,
die waren nicht mehr da
Otze hat dich quasi einfach so...
Hagen: In der "Zelle" bei der Disko hat er gefragt, wie sieht
es aus und mit seinen Sprüchen "Dann sind wir Rockstars, können
Weiber haben", was mich alles nicht so interessiert hat, denn es
geht um die Sache. Es ging eigentlich um einen Auftritt in der "Zelle",
da war so 'ne Werkstatt vor Ort. Das war die Zeit, wo das "Ata,
Fit, Spee" im Jugendradio DT 64 lief.
Sommer '91.
Hagen: Und damit der Auftritt stattfindet, hab ich gesagt, machen wir,
ist gebongt die Sache! Dann haben wir zweimal geprobt und dann ist es
dabei geblieben. Dann kam dort wieder 'mal ne Anfrage und da, machen
wir halt.
Was hat sich mit der Wende geändert oder hat sich für
Euch, was SCHLEIM-KEIM angeht, gar nicht so viel geändert?
Hagen: Ich bin ja erst nach der Wende mit SK aufgetreten. Ich kenne
nur die Atmosphäre von den Kirchenwerkstätten und das war
schon sehr spektakulär. Die Macher kamen aus der Langhaarigenszene
und die Punker kamen mit der Sache drumherum nicht klar und das war
der einzige gemeinsame Punkt. Die Gemeinsamkeit war, daß alle
Leute unzufrieden waren mit den politischen Umständen. Die haben
sich unter diesem Kirchendach getroffen, das war der Raum dafür
und haben auch die Punker mitgenommen, das war auch spektakulär.
Weil, da 'ne Punk-Band wie SK spielen zu lassen, das zieht ja auch Leute
lang hin. Es gab auch freche Pöbeleien von wegen "die Langhaarigen"
und so, was sich eigentlich nicht gehört, wenn ich bei jemand zu
Gast bin, das wurde eben alles so hingenommen. Das war das Feeling damals.
SK zum ersten Mal gesehen, das muß die Werkstatt in Jena gewesen
sein.
Wo Otze sich auf der Fahrt als Bauarbeiter verkleidet hat!
Hagen: Kann sein. Das war in Jena nicht im Kassablanca, sondern in einem
Kirchengebäude Richtung Lobeda, Neubaugebiet. Das muss '86 gewesen
sein, nee früher.
Lippe: '86 waren glaube ich gar keine Auftritte, weil Dippel bei der
Fahne (umgangsspr. für Armee, Anm. des Verfassers) war.
Hagen: Da bin ich aber Lehrling gewesen, das muß doch zwischen
'86 und '87 gewesen sein. Und da war auch SK und das war spektakulär!
Was war so das spektakuläre an einem SK-Gig? Was war anders
als bei anderen Punk-Bands?
Hagen: Erstmal, andere Punk-Bands habe ich nie gesehen. Da haben auch
verschiedene Bands gespielt. Allein das Feeling, war ebenerdig, Bühne
sowieso nicht, ein relativ grosser Gemeinderaum, wo man locker so 150
Leute reinkriegt und da stand genau der selbe Müll rum, der im
Proberaum rumstand, die zusammengewürfelten Boxen und damit wurde
ein Konzert gemacht! Das ging halt irgendwie!
Was war so spektakulär?
Hagen: Wie die Leute drauf abgefahren sind! Die Stimmung war gereizt,
aggressiv! Kann man einfach nicht verheimlichen, das war mir auch ein
bisschen unheimlich, aber was soll passieren? Und das war tagsüber!
Nicht irgendwie abends, es war nicht dunkel, allein das schon...
Aber was war das spektakuläre, die Musik, die Texte oder alles
zusammen?
Hagen: Das zum ersten Mal gesehen zu haben! Die Texte haste doch sowieso
nicht verstanden, ist doch Unsinn, haste nicht rüberbekommen mit
dem Equipment! Entweder du kanntest sie, du hast dort keinen Text rausgehört!
Du hast nur das Feeling mitbekommen. Da hab ich sie zum ersten Mal gesehen,
ich hab das einfach nur so als Randnotiz mitgenommen.
Warst Du nicht wegen der Musik da?
Hagen: Wegen der Veranstaltung selber, da waren verschiedene Sachen
unterwegs, das nannte sich Kirchenwerkstatt, ging über zwei Tage.
War das nicht sogar die Urzeitaltergeschichte gewesen oder war das im
Lutherpark? Die haben den Dingern gerne einen Namen gegeben und eins
hiess mal "Zurück ins Urzeitalter"!
Hat da Otze das Lied her?
Hagen: Nein, die haben das nach dem Lied benannt! Das Lied war zuerst
da!
Du bist also nicht wegen SCHLEIM-KEIM hingefahren!
Hagen: Es ging mir einfach um die Veranstaltung selber, diese "Kirche
von Unten"-Bewegung und so ein bisschen diese Demokratie, wenn
irgendwas war hier und Du dich artikulieren und äußern wolltest,
dann ging das nur in diesen kirchlich geschützten Räumen!
War Jena nicht das Zentrum der Bewegung "Schwerter zu Pflugscharen"?
Hagen: Der Friedenskreis Jena war ein Zentrum. Jena und Leipzig. Die
haben das entworfen und aus Jena waren auch die ersten, die sich mit
der Charta 77 in Verbindung gesetzt haben. Da waren Kaktus und Blase
involviert.
Habt Ihr damals damit gerechnet, daß auch in Kirchenkreisen
alles von der Stasi überwacht wurde?
Lippe: Daß die dabei waren, war klar! Aber ich hab gedacht, daß
wenn da so 'ne Werkstatt in der Kirche ist, da so zwei oder drei dazwischen
rumstolpern, die von der Stasi sind. Aber daß es dann - wie es
später rauskam - viele waren, die da drinne waren, daß selbst
unter den Punkern welche waren, die mit der Stasi richtig zusammengearbeitet
haben, das hätte ich nie gedacht früher!
PRÜGELKNABEN (1985)
Wir wollen nicht mehr, wie ihr wollt
wir wollen unsere Freiheit
wir sind das Volk, wir sind die Macht
wir fordern Gerechtigkeit
Wir sind das Volk, wir sind die Macht
Es ist zu spät, wenn es erst mal kracht
Das ist die Realität
und du merkst, wie die Zeit vergeht
du merkst, wie du langsam hier verfaulst
und wie eine kranke Katze jaulst
Gedanken werden sterilisiert
Worte durch Zensur kastriert
Bilder verfälscht, um den Schein zu wahren
sich stärker zeigen nach langen Jahren
den Willen nehmen und verformen
in Normen durch genormte Normen
aufbegehren durch Gewalt verwehren
sich nur um des Nachbars Fehler scheren
Das ist die Realität
und du merkst, wie die Zeit vergeht
du merkst, wie du langsam hier verfaulst
wie eine kranke Katze jaulst |
Aber obwohl die Stasi im Bewusstsein immer dabei war, war doch 'ne
Menge Enthusiasmus und auch Fun dabei! Hat man da die Stasi-Geschichte
total verdrängt?
Lippe: Da haben wir gar nicht drüber nachgedacht.
Hagen: Im Prinzip hat ja keiner gesagt, ihr seid scheisse. Es war nur
'ne Meinungsäußerung. Es wurde halt alles überwacht!
Der Hintergrund war, man musste immer aufpassen, sich keinen Ärger
einzuhandeln. Wer will schon ständig 'ne Hausdurchsuchung? Irgendwelche
Klamotten beschlagnahmen, das konnte ich alles nicht gebrauchen. Obwohl
es eigentlich alles vorwandslos war! Kein Hintergrund, denn wir waren
ja keine Systemkritiker oder Leute, die da ernsthaft gekratzt haben.
Eigentlich wolltest Du deine Ruhe haben. Was wollten wir denn verändern?
Es war scheisse, freilich, aber wie denn weiter? Wir waren nicht die
Leute, die ein Zepter in die Hand genommen und gesagt hätten, da
und da geht's lang! Man kann die Scheisse anprangern, ja, aber um mehr
ging's nicht! Mehr war auch an Substanz gar nicht da!
Aber es hat auch 'ne Menge Leute mobilisiert! Die Punk-Konzerte zu
DDR-Zeiten waren immer voll!
Hagen: Sicherlich, aber die Leute wollten doch nicht einen politischen
Standpunkt klarmachen, sondern die wollten ihren Punk dort ausleben!
Und das auch mal in akustischer Form umsetzen!
Lippe: So eine Werkstatt war zwei-, dreimal im Jahr - maximal! Wenn
Du das erfahren hast, dann bist Du da hin, egal was gekommen ist! Heute
hörst Du, nächstes Wochenende spielen - sag ich jetzt mal
- EXPLOITED in Erfurt, da sagst Du, hab ich schon 3x gesehen, brauch
ich nicht hin. Früher wär das undenkbar gewesen!
Oktober '92 habt Ihr in Berlin an einem Wochenende im Knaack-Klub
und im Tacheles gespielt: Das einzige Mal, daß ich gesehen habe,
daß ihr eine Playlist hattet mit 25 Songs, an die ihr euch sogar
gehalten habt, du hast davon gesprochen, ein Bandauto zu kaufen, da
sah es so aus, daß es ein bisschen in geregeltere Bahnen geht.
Kurz danach habt Ihr Wochenendgigs mit ICH-FUNKTION gemacht, wieso ist
das nicht in die Richtung weitergegangen?
Hagen: Das war Spinnerei!
Lippe: Wir hätten niemals das Geld für einen Bus zusammengekriegt.
Hagen: Für Dieter war das klar, Mario hat ein Auto gekauft, die
Welt ist in Ordnung, wir kommen überall hin. Wo wir in Berlin waren,
da bist du noch ohne Fahrerlaubnis, hin ist Kraushaar gefahren, dann
zurück bist du schwarz gefahren.
Lippe: Genau. Da war ich noch im Führerschein drin.
Wie kamen denn die Gigs mit ICH-FUNKTION zustande?
Lippe: Zufällig, wir sind angeschrieben worden.
Hagen: Das war so 'ne Weihnachtsgeschichte.
Wollten nicht ICH-FUNKTION mit euch 'ne ganze Tour machen?
Hagen:: Die waren dann geheilt.
Lippe: Das waren aber mehrere Bands, die daran gedacht haben, mit uns
mal was zusammen zu machen. DRITTE WAHL haben uns damals auch drauf
angesprochen, daß sie das cool finden würden.
Hagen: Das wär nicht gutgegangen! So'n Ding, wo du fünf, sechs,
sieben Mal hintereinander irgendwo stehen musst, das kannste vergessen!
Das hätte nie geklappt!
Warum?
Hagen: Unzuverlässigkeit!
Von Otze?
Hagen: Ich hab jetzt genickt!
Wär zu stressig gewesen?
Hagen: Ja, weil am Anfang ist ja alles schön. Ich kann ja zeigen,
daß ich es mir leisten kann mit Abwesenheit zu glänzen. Was
wollen denn die?
Ich dachte immer der einzige Gig im ehemaligen Westen wäre 1993
in Neustadt am Rübenberge gewesen. Im SK-Buch habe ich gelesen,
daß ihr auch mal in Giessen gespielt habt!
Hagen: Ich war nicht dabei.
Lippe: Ich glaub, Dippel hat das organisiert mit ein paar Erfurtern
zusammen, die haben damals ein paar Giessener kennengelernt, die SK
kannten. Da sind wir dann damals rübergefahren, ich weiss nicht
mehr wie der Klub hiess, das ging ein paar Treppen runter in den Keller.
Da haben wir nicht lange gespielt, maximal 10 Lieder.
Warum?
Lippe: Keine Ahnung. Sound war scheisse auf der Bühne, wir haben
uns überhaupt nicht gegenseitig gehört, dann war es schon
zu später Stunde und ich glaube, wir hatten alle drei keinen richtigen
Bock. Der Klub war auch nicht gut gefüllt, es hatte sich nicht
gut rumgesprochen, daß wir dort spielen, war eben nicht soo doll.
Das war relativ kurz nach der Wende, da hab ich mich noch gewundert,
Dippel ist mit dem Wartburg gefahren und plötzlich - auf dem Beifahrersitz
saß Gunsilius - Gunsilius sich'n Bier uffgemacht und Dippel: "Laß
mich auch mal trinken!", nimmt das Bier während der Fahrt
auf der Autobahn und trinkt 'nen Schluck. Ich sag: "Bist Du 'ne
Sau, du kannst doch nicht beim Autofahren Bier trinken!" Dippel:
"Jetzt ist es besser, wir sind nicht mehr im Osten, jetzt ist es
nicht mehr soo schlimm!" (Lachen)
Das war wahrscheinlich bevor der 1. DDR-Sampler rauskam.
Lippe: Das war davor.
Und da kannte euch ja im Westen so gut wie keiner. Im Buch sagt auch
jemand von euch, ihr habt euch gar nicht so um Gigs im Westen gekümmert.
Hagen: Wir haben uns gar nicht gekümmert!
Die Briefe, die ihr gekriegt habt, waren die fast alle aus dem ehemaligen
Osten?
Lippe: Das meiste, aber es kamen auch von drüben ein paar Anfragen.
Ein paar Briefe lagen dann immer da und ich hab die aufn Tisch geschmissen,
hier wieder Auftrittsangebote, jeder ein bisschen drin rumgelesen "ach
nee, das kannst vergessen, da wollen wir nicht spielen", "ach
nee, komm, scheisse".und so. Dann war ein Brief dabei, da hat einer
geschrieben "Ich bin der grösste Fan von Euch! Könnt
Ihr mir nicht euren Tourmercedes, der nicht mehr funktioniert, wenn
ihr mir den zuschickt, das wär das allergrößte!"
Hagen meinte, wir haben noch nicht mal jeder einen eigenen PKW. Wie
war das denn, wo wir uns total zerhackt haben mit der vollgeschissenen
Unterhose?
Hagen: Gebrauchte Schlüpfer.
Lippe: Da meinte Otze, wir nehmen irgendwoher einen alten Mercedes,
scheissen alle drei innen Schlüpfer, legen den aufn Rücksitz
und schicken das Ding als Paket zu! (Lachen)
Ihr habt das quasi zu dritt entschieden, da spielen wir und da spielen
wir nicht!
Lippe: Genau! Eigentlich auch nur da - weil schreiben war zu blöde,
immer schreiben und zurückschicken - wo eine Telefonnummer drunterstand,
daß wir die anrufen konnten "alles klar", die Gage ausgemacht
und daß wir nichts mitbringen ausser Gitarren und Schlagzeugverschleissteile,
da wir eh nur mit 'nem PKW kommen. Die sich darauf eingelassen haben,
da haben wir auch gespielt!
Oder ihr habt Gigs nachgeholt wie in Sondershausen. Da war gerade
die blaue Platte draussen, denn Dippel kam an und hat danach gefragt,
war total interessiert, obwohl er da schon lange nicht mehr mitgespielt
hat. Ihr wart auch angekündigt, aber irgendwie ist das nicht zu
Euch durchgedrungen.
Hagen: Sondershausen, wo die beiden Gruftitanten da waren.
Lippe: Ach ja stimmt, da war Ficker-Gerd doch noch mit und hat die eine
abgeschleppt! Wir haben dann bei den zwei Gruftiweibern gepennt.
Hagen: Die wolltens unbedingt!
Lippe: An was ich mich noch erinnern kann, wo war denn das noch, das
hat Dippel damals ausgemacht, das war sowas von traurig, irgendwo hinter
Nordhausen so ein Dörfchen auf der Festwiese. Wenn die Blaskapelle
spielte, da hatten die so eine offene Garage hingemauert, nur mit so
'nem kleinen Schleppdach obendrauf, aber ringsherum die Wände zu.
Und eine Bühne hingemauert, so 5x4 Meter, alles massiv, da drin
hat auch 'ne Bluesband gespielt. Ich dachte, was geht denn jetzt ab,
wo sind wir denn hier gelandet? Wir dachten, da müssen dochmal
ein paar Punker kommen. Irgendwann am späten Abend kamen 10 Punks,
die waren aus Nordhausen, sonst war nur Dorfjugend da. Omas und Opas
kamen da angeschlumpert, mit Strickjäckchen, 70 Jahre. Was soll
denn das hier werden? Was total geil war, wo wir dann gespielt haben,
Otze hat 'nen selbstgebauten kleinen Verzerrer gehabt, das war sein
ganzer Stolz, und irgendsoein Hippie mit Schellparka, lange fettige
Loden, mit 'ner Weinflasche in der Hand, zerruppte Jeanshose, der stand
die ganze Zeit vor der Bühne, dem muss es irgendwie gefallen haben.
Irgendwann ist er auf die Bühne hoch und ist immer vor Otze langgelatscht
und immer wieder auf den Verzerrer drauf! Ich dachte der Ehrlich wird
wahnsinnig: "Mach dich von der Bühne runter, mein Verzerrer,
du latscht mir alles kaputt!" Der Typ war so tütenzu, der
hat das gar nicht mitgeschnitten und es ging immer wieder auf den Verzerrer
drauf. Irgendwann stand der ziemlich nah an dem kleinen Bühnenvorsatz
vorn an der Kante mit der Flasche Wein in der Hand, hat mich angeguckt,
da hat Otze ihm 'nen Schubs gegeben, da ist der nach hinten umgefallen,
von der Bühne runter, die Weinflasche uffgeschlagen und er lag
vor der Bühne rum. "Äääähhh!", total
zerstört! Der ist liegengeblieben, der war fertig! Das war das
Highlight des ganzen Abends!
Bei SK war ja immer viel Chaos. Wie ist denn dieses SK-Logo und das
Cover der 1. EP entstanden? Hat Otze immer alles vorgegeben oder konnten
sich andere Leute auch mal einbringen in die Band?
Lippe: Von der "Schwarz-Rot-Gold - nie gewollt", das hab ich
eigentlich mal nur so aus Gaudi bei mir nachmittags in der Stube rumgekritzelt.
Dann hat ich das Ding fertiggemalt und habs hinter die Schrankwand geschmissen.
Da stand eh nichts weiter drin ausser die Anlage und da lagen noch Kassetten
drin. Nachmittags kam Otze zu mir, da war die Musik alle und er hat
in den Cassetten rumgewühlt und plötzlich ist ihm das Ding
aufgefallen, hats hochgehoben. "Das ist ja genial, wer hat denn
das gemalt?" "Das hab ich gemalt!" "Echt jetzt!
Das nehmen wir für irgendeine Platte! Schmeiss das nicht weg, heb
das auf!" Dann hab ichs in Schrank reingesteckt und das war dann
auch so, für die 1. Single ist das Ding als Cover rausgekommen.
Also Otze hat auch mal Bandmitglieder ermuntert...
Lippe: Er hat auch zu mir gesagt, wenn ich einen guten Text schreibe,
dann machen wir da ein Lied draus! Aber damals hatte ich überhaupt
nichts mit Textschreiben am Hut, ich war froh, daß ich das Schlagzeug
gespielt gekriegt habe! Zu Dippel hat er mal gesagt: "Wir brauchen
neue Lieder, wir sind die unkreativste Punk-Band, die es gibt!"
Besetzung:
Dieter "Otze" Ehrlich - Gesang, Gitarre (Schlagzeug
bis 1985, zwischendurch auch Bass)
Hagen Schröder - Bass, Chor (ab 1991) vorher bei FANATISCHE
FRISÖRE
Mario "Lippe" Lippmann - Drums, Chor (ab 1987)
Andreas "Dippel" Deubach - Bass, Chor (mit Unterbrechung
bis 1991)
Klaus Ehrlich - Gitarre (bis 1985)
Andreas "Fozzy" von Nida - Schlagzeug (1985/86) ein
Jahr später Gründer der FANATISCHEN FRISÖRE
Literatur
- Anne Hahn, Frank Willmann: Satan, kannst du mir noch mal verzeihen.
Otze Ehrlich, Schleimkeim und der ganze Rest. Ventil Verlag,
Mainz 2008
Diskografie
- DDR von unten/Ende (Split LP mit Zwitschermaschine, 1983)
- Abfallprodukte der Gesellschaft LP/CD (1992)
- Schwarz, rot, gold, nie gewollt EP (Aufnahmen ca. von 1988,
erschienen 1992)
- Geldschein EP (1993)
- Mach dich doch selbst kaputt - Live in Chemnitz LP/CD (1994,
LP 2003)
- Drecksau EP (Aufnahmen ca. von 1995, erschienen 1998)
- Nichts gewonnen, nichts verloren LP + EP/CD (Die Stotternheim-Tapes
1984-87, erschienen 2000, CD 2005)
- Bonus EP DDR Von Unten (Reproduktion der Saukerle-Seite der
Split LP mit Zwitschermaschine, erschienen 2000)
- Nichts Gewonnen Nichts Verloren Vol. 2 LP/CD (Die Gotha-Tapes
1988-90, erschienen 2003, CD 2004)
- Leck mich am Arsch Bonus-EP (2003)
Samplerbeiträge:
- Ausbruchsversuch Nr.1 (Trash Tape Rekords 01 1987) (1987)
- DDR Störfaktor (Aggressive Punk Tapes f*ck 01 1991) (1991)
- Erfurt-Sampler ZÄHNE 91 LP (1991)
- Sicher gibt es bessere Zeiten, doch diese war die unsere Vol.
1 LP/CD (1991)
- Sicher gibt es bessere Zeiten, doch diese war die unsere Vol.
2 LP/CD (1992)
- Sicher gibt es bessere Zeiten, doch diese war die unsere Vol.
3 Doppel-LP/CD (1993)
- Punk will never die! - WORLD COMPILATION LP (1994)
- BRD Punk Terror Vol. 1 CD (1995)
- BRD Punk Terror Vol. 2 CD (1997)
- BRD Punk Terror Vol. 3 CD (1999)
- BRD Punk Terror Vol. 5 CD (2006)
- Auferstanden aus Ruinen - der Soundtrack zur Wi(e)dervereinigung
CD (1999)
- Gegen Nazis Sampler LP/CD
- Punk Rock BRD Vol. 1 3x-CD-BOX (Weird System)
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